Diskriminierung bei Kinderwunsch hält an: Finanzielle Hilfe weiter nur für heterosexuelle Eheleute
Lesbische Paare dürfen inzwischen auch in Hessen die künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen. Das war nicht immer so. Die Diskriminierung hält aber dennoch weiter an.
Kassel – Bei einer künstlichen Befruchtung werden hetero- und homosexuelle Paare ungleich behandelt. Die gesetzliche Krankenkasse erstattet nämlich nur heterosexuellen Eheleuten die Hälfte der Kosten – gleichgeschlechtliche Ehepaare bekommen keinen Zuschuss und müssen die Kosten in Höhe von mehreren Tausend Euro selbst zahlen.
Der Lesben- und Schwulenverband fordert die Bundesländer auf, bei Fertilitätsstörungen gleichgeschlechtliche weibliche Paare auch finanziell zu unterstützen. Das Land Hessen macht das – aber erst ab dem vierten Behandlungszyklus. Bis dahin kommen auf die Paare schon Kosten in Höhe von bis zu 6000 Euro zu.
Bislang mussten homosexuelle Paare in Hessen nicht nur auf finanzielle Hilfe bei einem unerfüllten Kinderwunsch verzichten. In der Richtlinie der Landesärztekammer war die „Insemination bei alleinstehenden Frauen oder gleichgeschlechtlichen Paaren nicht vorgesehen“, heißt es. Das hat sich inzwischen geändert.
„Zum Glück“, findet Prof. Dr. Miguel Hinrichsen, Gründer und Geschäftsführer des Kinderwunschzentrums Kassel, das in den Räumen des Klinikums am Möncheberg zu finden ist. „Diese Änderung ist überfällig gewesen und dringend nötig“, sagt er.
Mehr als 800 außerkörperliche Befruchtungen finden im Jahr im Kinderwunschzentrum in Kassel statt. Damit gehört es zu den größten Kinderwunschzentren Deutschlands und weist statistisch auch mit die besten Erfolge auf. Die künstliche Befruchtung ist ein umgangssprachlicher Begriff. Es gibt verschiedene Verfahren, um den Kinderwunsch bei Frauen zu erfüllen.
Zwei bekannte Methoden sind die Insemination und die In-vitro-Fertilisation. Als Insemination wird die Übertragung des männlichen Samens in den Genitaltrakt der Frau verstanden.
Bei der In-vitro-Fertilisation werden hingegen die Eizellen in einem Reagenzglas befruchtet. Der Frau werden dafür nach einer Hormontherapie befruchtungsfähige Eizellen entnommen. Diese werden in einer Nährlösung mit den Samenzellen des Partners befruchtet.
Laut der neuen Richtlinie der Hessischen Landesärztekammer dürfen nun auch alleinstehende Frauen und homosexuelle Frauen ihren Kinderwunsch mittels künstlicher Befruchtung erfüllen. Sie greifen dann auf Samenzellen aus einer Samenbank zurück.
Allerdings ist auch heute die künstliche Befruchtung von alleinstehenden Frauen und homosexuellen Frauen noch nicht explizit in der neuen Richtlinie geregelt: „Anzumerken ist jedoch, dass sie seit Änderung der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen auch nicht mehr explizit verboten ist“, heißt es vonseiten der Hessischen Landesärztekammer.
„Jeder Reproduktionsmediziner entscheidet das selbst“, sagt Hinrichsen, der auch Kinderwunschzentren in Bayreuth und Hamburg leitet. In Hamburg sehe er überproportional viele homosexuelle und alleinstehende Frauen, die in die Kinderwunschzentren kommen. In Hessen seien es bislang nur wenige dieser Frauen.
„Ich denke, die meisten wissen noch nicht, dass das jetzt hier, zumindest bei uns, auch möglich ist“, sagt er. „Nicht selten kommen Frauen zu uns nach Hamburg zur Behandlung. Die schicke ich dann nach Kassel.“
Dass es in Deutschland noch keine klare Gesetzeslage zur künstlichen Befruchtung gebe, sei ein Versäumnis des Bundes.
Die hohen Kosten kommen übrigens nicht nur auf alleinstehende Frauen und homosexuelle Paare bei der In-vitro-Fertilisation zu, um sich den Kinderwunsch zu erfüllen und alle Optionen zur Optimierung der Chance auf ein Kind auszuschöpfen. Auch heterosexuelle Paare, die nicht verheiratet sind, zahlen selbst.
Von: Anna-Laura Weyh
Das sagt die Aidshilfe Kassel
„Die Ehe für alle ist seit 2017 in der Bundesrepublik in Kraft. Dennoch erfahren gleichgeschlechtliche Eheleute und andere Paare, die nicht in einer Beziehung zwischen Mann und Frau leben, anhaltende soziale und institutionelle Diskriminierung“, sagt Ira Belzer von der Aidshilfe Kassel. Etwa müsse die Frau einer lesbischen Partnerschaft, die das gemeinsame Kind nicht geboren hat, es in einem aufwendigen Prozess adoptieren, anstatt direkt als Elternteil erfasst zu werden. „Formulare im Gesundheitswesen oder anderen Bereichen sprechen oft von Mutter und Vater oder Frau und Mann, anstatt alle Personen gleichberechtigt anzusprechen“, kritisiert Belzer weiter.